Das System der ärztlichen Bereitschaftsdienste als Notfallpraxen oder Fahrdienst ist komplex. Ob als singulärer 24-Stunden Standort im ländlichen Raum oder im urbanen Bereich als Kernzeit-Abdeckung an eine Klinik angedockt, es gibt zahlreiche verschiedene Modelle, wie die KV-Notfallpraxen organisatorisch aufgestellt sind. Oft – aber leider nicht immer – kommt es dabei zu einer gegenseitigen Entlastung, so Prof. Dr. Martin Hausberg, Chefarzt der Medizinischen Klinik I am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Das Krankenhaus übernimmt die schweren und aufwendigen Fälle, die Kolleginnen und Kollegen in der Notfallpraxis kümmern sich um die leichteren Fälle, die weiter ambulant verbleiben. So die Theorie, die eine entsprechende Nähe der Einrichtungen und eine standardisierte Triage der Patientinnen und Patienten voraussetzt. Leider sieht die Praxis jedoch oft anderes aus. Dass dies so ist, dafür kennt Prof. Dr. Hausberg gleich mehrere Gründe. Zum einen seien die Erreichbarkeiten der Notfallpraxen oft zeitlich limitiert, die Patientenströme jedoch häufig nicht. Zudem gäbe es eine gesteigerte Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten an eine allzeit verfügbare Medizin, die einer an der medizinisch Notwendigen orientierten Planung entgegensteht. Darüber hinaus benötigt eine zunehmende älter werdende Bevölkerung auch mehr Ressourcen im Gesundheitssystem als zuvor. Und dies alles unter den ohnehin schon harten Corona-Bedingungen, die die Kliniken zunehmend ans Limit bringen. Lange könne und werde das nicht mehr gut gehen, so Prof. Dr. Hausberg.
Auch im präklinischen Setup wird eine bessere Verzahnung der einzelnen Dienste dringend benötigt. Das Abkoppeln der KV-Rufnummer 116117 von den Leitstellen hin zu zentralen Call-Centern habe mehr Probleme geschaffen als gelöst, so Christoph Nießner, Facharzt für Anästhesie und Notfallmediziner. Gerade in der Versorgung vor Ort müssten Struktur und Kommunikation deutlich verbessert werden. Die Fahrdienste der Kassenärztlichen Vereinigungen versorgen Patientinnen und Patienten zu Hause, sodass diese neben einer ärztlichen Untersuchung auch Medikamente erhalten können. Nur wenn absolut nötig sollte eine Einweisung oder gar das Einschalten des Rettungsdienstes mit Notarzt erfolgen. Zentraler Punkt in der Organisation dieser Strukturen ist dabei die KV-Hotline 116117, die sorgfältig triagieren müsse. Auch das ambulante Verbleiben von Patientinnen und Patienten des Rettungsdienstes mit anschließendem Hausbesuch sei so möglich, so Nießner weiter. All dies kann und wird in Zukunft von zunehmender Bedeutung sein, um eine gute medizinische Versorgung vor Ort zu gewährleisten, ohne dass durch einen unkontrollierten Zustrom von Patientinnen und Patienten die Notaufnahmen der Kliniken überflutet werden. Deshalb kandidiere er auch für die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Lösungen könne man nur gemeinsam finden.
Dass die Digitalisierung hier in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird, scheint sicher. Wie genau dieser Weg aussieht ist allerdings offen. Ersthelfer-App und Telenotarzt seien z.B. zwei Projekte, die diese neuen Möglichkeiten nutzen, so Dr. Michael Preusch (MdL). Dies sei aber erst der Anfang. So können in Zukunft neben dem eigentlichen Gespräch auch medizinische Daten aus dem Hausnotruf oder z.B. einem Pflegeheim übertragen werden. Diese könnten dann von einem Arzt im KV-Notdienst bewertet und eine entsprechend ressourcenoptimierte Therapie eingeleitet werden. Als Kardiologe sei ihm dies besonders im Hinblick auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Herzinfarkt sehr wichtig. Nur eine gute Vernetzung des ambulanten und stationären Sektors ermögliche eine sinnvolle und rasche Patientensteuerung. Und dafür brauche es nicht nur die Kassenärztlichen Vereinigungen als solche, sondern eben auch einen starken Marburger Bund in der Vertreterversammlung Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg!
Für diese kandidiert auch Dr. Arne Dresen, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Gerade bei kranken Kindern ist es oft gar nicht so einfach die richtige Balance zu finden, spielen doch Emotionen hier oft eine große Rolle. Das Zusammenspiel mit dem Kinderärztlichen Notdienst klappe in der Regel gut, aber auch hier stecke der Teufel manchmal im Detail. Die Notaufnahme seiner Klinik sei optisch präsent, der Eingang zum Kinderärztlichen Notdienst jedoch nicht so einfach zu finden. Daher komme es dann oft zur primären Fehlsteuerung von Patientinnen und Patienten, genauer gesagt deren Eltern. Auch komme dazu, dass vielen Familien das System der ärztlichen Notdienste gar nicht geläufig sei. Insbesondere im europäischen Ausland gibt es keine vergleichbaren Strukturen. Dies macht es für Familien mit Migrationshintergrund noch schwieriger, zu entscheiden, an wen sie sich wenden sollen. Hier sei man das Krankenhaus als natürliche Anlaufstelle in Notfällen gewohnt und kenne daher auch nichts anderes. In diesen Fällen müsse oft umständlich die Funktion des Kinderärztlichen Notdienstes erklärt werden und dass hier eine ebenso gute medizinische Versorgung durchgeführt werde.
Alles in allem seien die KV-Notdienste aber ein sehr wichtiger Baustein im Gesamtsystem der Notfallversorgung, ohne die eine Überlastung der Kliniken nicht zu verhindern wäre, hierin sind sich Hausberg, Nießner und Dresen einig. Sicher, einiges muss in Zukunft optimiert und an die neuen Herausforderungen angepasst werden, dies gilt es nach der KV-Wahl anzupacken. In der Bezirksärztekammer Nordbaden wurde auf Initiative des Marburger Bundes bereits ein Arbeitskreis zum Thema Notfallversorgung eingerichtet, der sich mit vielen der genannten Themen beschäftigt und an Lösungen arbeitet – ein Erfolg! Und dieser zeigt auch, wie wichtig das Engagement der vielen Mitglieder des Marburger Bundes in der in Kammer und KV ist!